150 Jahre nach seiner Eröffnung wurde der Nordwestbahnhof im Jahr 2022 endgültig stillgelegt und auch wenn der Personenverkehr dort schon seit den 1950er Jahren eingestellt wurde, konnte das Bahnhofsareal auf eine lange Nutzung als Umschlagsplatz mit einem Ökosystem aus Betrieben der Transport- und Logistikbranche zurückblicken.
Im Zuge der Transformation des Nordwestbahnhof Areals entsteht aus dem ca. 44ha großen Bahnhofsgelände ein ” klimafreundliches und sozial durchmischtes Wohn- und Arbeitsviertel”*.
Damit wird neben dem noch aktiven Westbahnhof das letzte große Stadtentwicklungsgebiet auf ehemaligen Bahnhofsarealen der Stadt Wien verwertet und auch wenn umfangreiche Planungsmaßnahmen vorangegangen sind, bleibt beim Blick auf ähnliche Projekte, wie dem ehemaligen Süd- und Ostbahnhofareal oder dem Nordbahnhofgelände aus industriehistorischer Sicht ein bitterer Nachgeschmack hinsichtlich der nur mehr homöopathisch erhaltenen, originalen Bahnhofsstrukturen. Im Stadtgebiet sind fast alle charakteristischen, für den ehemaligen Bahnbetrieb notwendigen Gebäude wie Rundlokschuppen, Heizhäuser oder Lagerhallen verschwunden, und das, obwohl sie inmitten transformierter Industrieareale die so dringend benötigten Bezugspunkte sein könnten, um Attraktivität und Wiedererkennungswert zu erhalten. Das solche identitätsstiftenden Gebäude für gemeinsame Begegnungszonen, Veranstaltungsräume oder Markthallen angenommen werden, zeigen genügend Beispiele, wie auch die gerade erfolgte Umnutzung der ehemaligen Remise der Badner Bahn in der Eichenstraße in Wien Meidling. Wesentlich ist dabei die detaillierte, planerische Auseinandersetzung mit dem Gebäude, die eine behutsame Adaptierung der baulichen Strukturen, Materialen, und wenn vorhanden, auch funktionalen Ausrüstung, wie Maschinen oder Krananlagen miteinbezieht. Im Gegensatz dazu steht die leider viel zu häufig angewandte Praxis der vollständigen Entkernung von Industriedenkmälern, wie zum Beispiel gerade erst bei der sogenannten Gösserhalle, einem ehemals erfolgreichen Veranstaltungsort am Südbahnhofareal, passiert ist. Dass dieses Schicksal auch dem erhaltenen Postgebäude am Nordwestbahnhof nicht erspart wurde, ist für die historische Bedeutung des zukünftigen Nordwestbahnhofareals ein schmerzhafter Verlust.
Umso wichtiger ist die Beschäftigung mit den verbliebenen historischen Lagerhallen. Nach welchen Kriterien wurden die laut Bebauungsplan zu erhaltenen Hallenbereiche aus der restlichen Bausubstanz gewählt, könnten je nach Nutzungskonzept auch weitere historische Hallenbereiche in die Planung integriert werden?. Dabei wäre wünschenswert, wenn auch Details, wie die erhaltende historische Straßenpflasterung berücksichtigt werden würde. Bis zur Klärung dieser Fragen möge von einem rechtsgültigen Beschluss des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans Abstand genommen werden. Da derzeit noch keine detaillierten Konzepte dazu vorliegen, soll das angeführte Beispiel eines ganz ähnlichen Bauwerks am Rigaer Bahnhofsgelände ein Anstoß hinsichtlich Nutzung als auch der baulichen Adaptierung sein. Attraktive Architektur und verantwortungsbewusster Umgang mit der Bausubstanz zeigt sich hier bis ins Detail.
Aus industriehistorischer Sicht kann nicht oft genug auf die Notwendigkeit einer sensiblen Eingliederung der allerletzten erhaltenen Strukturen des Nordwestbahnhofs in das geplante Bebauungskonzept hingewiesen werden.